Meine Ur-Großmutter väterlicher Linie  [Kekule-Nr. 17 in der Ahnenliste]

Katharina Gawenda, verh. Isenberg (1884–1936)

in Essen-Altendorf

Geboren am 27. November 1884 in Altenessen – gestorben am 17. Juli 1936 in Essen-Altendorf.


Eines der beiden erhaltenen Fotos meiner Urgroßmutter Katharina Isenberg (geb. Gawenda)
Eines der beiden erhaltenen Fotos meiner Urgroßmutter Katharina Isenberg (geb. Gawenda)

In der Erinnerung ihrer Kinder war sie ein »Engel« – mit ihrer ruhigen, liebevollen und fürsorglichen Art hat Katharina Gawenda jedenfalls nachhaltigen Eindruck bei ihren Kindern hinterlassen, der in der späteren Erinnerung sicherlich auch durch ihren frühen Tod bestärkt wurde. Es sind nicht die großen Dinge, die das Leben prägen...

Katharina Gawenda stammte aus einer einfachen Arbeiterfamilie, die Ende der 1870er Jahre aus Oberschlesien in die aufstrebende Industrieregion des Ruhrreviers gekommen war. Die Eltern Thomas Gawenda und Marianne (genannt Maria) Skornia waren in Sandowitz (Żędowice) bzw. der benachbarten Werkssiedlung Zawadzkie (zwischen Oppeln und Kattowitz) geboren worden und aufgewachsen. Schon hier wurden sie durch das Hüttenwesen und die frühe Stahlindustrie geprägt, war doch Thomas’ Vater bereits Hüttenarbeiter und Marias Vater Schmied. Thomas Gawenda und Maria Skornia hatten 1873 in der Pfarrkirche St. Bartholomäus in Keltsch (Kielcza) geheiratet, wenig später waren sie jedoch nach Riesa im Königreich Sachsen gegangen, wo Thomas Gawenda vermutlich im Hüttenwerk Lauchhammer Arbeit fand.

Im Sommer 1877 ließ sich die junge Familie Gawenda, zu der inzwischen auch zwei Kinder (Maria und Peter) zählten, in Essen an der Ruhr nieder. Es war die enorme Anziehungskraft der Krupp-Werke gewesen, die auf Thomas Gawenda wie auf viele Tausende anderer Menschen in dieser Zeit einwirkte und aus den bäuerlich geprägten Orten zwischen Ruhr und Emscher innerhalb weniger Jahre und Jahrzehnte die größte Industrieregion Deutschlands machte. Seit dem 23. August 1877 war Thomas Gawenda als Schweißer bei Krupp angestellt. Zunächst wohnte die Familie in einer Wohnung in der Borbecker Straße (heute Hövelstraße) in der Nähe des Altenessener Bahnhofs, Anfang der 1880er Jahre zogen sie in die Paulstraße 37 im Essener Nordviertel, wenige Hundert Meter entfernt von der großen Krupp-Gussstahlfabrik an der Grenze zwischen Essen-Zentrum und Altendorf.

Meine Urgroßmutter Katharina Gawenda war das sechste von insgesamt zehn Kindern der Eheleute Thomas und Maria Gawenda. Sie wurde am 27. November 1884 in Altenessen geboren und drei Tage später, am 30. November 1884 in St. Gertrud im Essener Nordviertel auf den Namen Margaretha Katharina Gawenda getauft; Taufpaten waren ihre Tante Florentine Skornia, die dafür eigens aus Oberschlesien nach Essen gekommen war, und ein (uns nicht näher bekannter) Thomas Plock.

Blick in die Siedlung der Arbeiterkolonie Kronenberg (um 1910), in einem solchen Haus wohnte die Familie Gawenda von 1885 bis 1910)
Blick in die Siedlung der Arbeiterkolonie Kronenberg (um 1910), in einem solchen Haus wohnte die Familie Gawenda von 1885 bis 1910)

Kurz nach Katharinas Geburt (vermutlich um den Jahreswechsel 1884/85) zog die Familie um in die H-Straße 6 in der Arbeiterkolonie Kronenberg. Diese Arbeitersiedlung hatte Alfred Krupp in den Jahren 1871–74 in unmittelbarer Nähe seines Gussstahlwerks für seine Arbeiter errichten lassen. Wegen des hohen Wohnungsleerstands wies Krupp seine Arbeiter in den 1880er Jahren an, in der Arbeiterkolonie eine Wohnung beziehen – das wird sicherlich auch der Grund dafür gewesen sein, dass die Familie Gawenda hierher zog. Weit über 6000 Menschen wohnten in den 221 in Wohnblöcken angeordneten, dreieinhalbgeschossigen Häusern mit Gewölbekeller und Gemeinschaftsdachboden. Die Wohnungen bestanden in der Regel aus Wohnküche und Schlafraum sowie bis zu drei weiteren Räumen, mit Toiletten außerhalb der Wohnung auf dem Treppenabsatz. Selbst wenn die Familie Gawenda eine der größeren Wohnungen bewohnt haben sollte – für die zwölfköpfige Familie werden die Wohnverhältnisse dennoch recht beengt gewesen sein. Katharinas ältester Bruder Peter, der eine Lehre als Büroarbeiter bei Krupp gemacht hatte, zog erst mit seiner Heirat 1905 aus der elterlichen Wohnung aus. Die älteste Schwester Maria verstarb im Jahr 1900 im Alter von nur 25 Jahren. Aber das heißt, zumindest in den Jahren zwischen der Geburt des jüngsten Bruders Josef 1896 und dem Tod der ältesten Schwester 1900 lebten zwölf Personen in der Wohnung in der H-Straße.

Die ursprünglich nur alphabetisch mit Buchstaben gekennzeichneten Straßen der Siedlung erhielten 1902 neue Namen, so wurde aus der Adresse H-Straße 6 die Eichhoffstraße 7. Über die Kindheit und Jugend von Katharina Gawenda wissen wir aus familiärer Erinnerung so gut wie gar nichts. Vermutlich wird sie die Katholische Schule Altendorf III direkt bei der Arbeiterkolonie besucht haben. Nach Abschluss der Schulzeit arbeitete sie einige Jahre als Verkäuferin in der Kruppschen Konsumanstalt an der Ecke Sälzerstraße/Pieperstraße.

Wie, wann und wo Katharina Gawenda meinen Urgroßvater Josef Isenberg, Sohn des Obersteigers Josef Isenberg und Hauptküster am »Altendorfer Dom«, kennenlernte, wissen wir nicht. Wir können aber vermuten, dass die beiden sich im Umfeld der katholischen Kirchengemeinde kennengelernt hatten. Jedenfalls war die Familie Gawenda der katholischen Kirche sehr verbunden; so wissen wir zum Beispiel von Katharinas Schwestern Hedwig und Rosalie, dass sie Mitglieder der Marianischen Jungfrauen-Kongregation Altendorf waren. Und auch musikalisch scheint die Familie nicht uninteressiert gewesen zu sein, zumindest wissen wir von Katharinas Bruder Johannes, dass er ein Harmonium besaß.

Heiratsregistereintrag aus den Kirchenbüchern der Pfarrei St. Mariä Himmelfahrt Essen-West (der Geburtsname der Brautmutter ist falsch geschrieben und lautet eigentlich Skornia)
Heiratsregistereintrag aus den Kirchenbüchern der Pfarrei St. Mariä Himmelfahrt Essen-West (der Geburtsname der Brautmutter ist falsch geschrieben und lautet eigentlich Skornia)

Am 13. September 1910 gaben sich Katharina Gawenda und Josef Isenberg im »Altendorfer Dom« St. Mariä Himmelfahrt das Ja-Wort; Josef war zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt, Katharina knapp 26 Jahre. Trauzeugen waren Johannes Isenberg und Johannes Gawenda, beides Brüder der Brautleute. Josef Isenberg, der zuvor einige Jahre in einem Zimmer der katholischen Kirchengemeinde in der Marienstraße (heute Euskirchenstraße) Nr. 3 gewohnt hatte, zog nun mit seiner Ehefrau Katharina in eine Wohnung gegenüber im 1. Stock der Haskenstraße 15, die ihm von dem Bauunternehmer Husmann vermietet wurde. (Katharinas Vater, der inzwischen als Krupp-Fabrikarbeiter pensioniert worden war, musste aus der Werkswohnung in der Kolonie Kronenberg ausziehen – die Familie fand eine neue Wohnung in der Sursstraße 3, direkt gegenüber dem »Altendorfer Dom« am Ehrenzeller Markt, also nur hundert Meter von der Wohnung der Eheleute Isenberg entfernt.)

Katharina Isenberg hatte 1915 ihr drittes Kind, meinen Großonkel Egon, geboren, als ihr Mann Josef als Soldat im Krieg war. Sie schickte ihm dieses Bild, das er immer bei sich trug.
Katharina Isenberg hatte 1915 ihr drittes Kind, meinen Großonkel Egon, geboren, als ihr Mann Josef als Soldat im Krieg war. Sie schickte ihm dieses Bild, das er immer bei sich trug.

Am 30. Dezember 1911 brachte Katharina Isenberg ihr erstes Kind, meinen Großvater Josef Isenberg, zur Welt. In den nächsten Jahren folgte die Geburt der Söhne Alfred (13. Mai 1914) und Egon (3. September 1915). Bei Alfreds Geburt musste Katharina allerdings ohne ihren Mann auskommen, da dieser bereits Ende April 1915 in den Kriegsdienst einberufen worden war und seine schwangere Ehefrau mit den beiden kleinen Kindern alleine zurücklassen musste. Das hier wiedergegebene Foto von ihr hatte er als Soldat in seiner Tasche immer mit dabei – es ist eines von nur zwei erhaltenen Bildern von Katharina Isenberg.

Nach dem Krieg wurden die Kinder Johannes (4. Januar 1920) und Aloysia (17. Dezember 1921) geboren. Neben ihren häuslichen Pflichten half Katharina auch bei Büroarbeiten in der St.-Mariä-Himmelfahrt-Kirchengemeinde mit. Das Leben der Familie Isenberg war sehr eng mit der Kirchengemeinde verbunden – als Küster war Katharinas Mann quasi rund um die Uhr, auch am Wochenende, für die Kirche im Einsatz.

Ende 1923 / Anfang 1924 starben innerhalb nur weniger Monate Katharinas Eltern, was für Katharina sicherlich mit großer Trauer verbunden gewesen sein wird. Einige Jahre später werden sie die Eskapaden ihres jüngeren Bruders Josef beschäftigt haben: Durch Veruntreuung von Geldern des von ihm gegründeten Beerdigungs-Beihilfevereins wurde er im Dezember 1932 zu einer Gefängnisstrafe von 14 Monaten verurteilt, was sein Leben offenbar durcheinanderbrachte. Für die arbeitsame, katholisch geprägte, gewissenhafte und treue Familie waren das vermutlich Dinge, die man nicht so gerne sah.

Schon länger ging es Katharina gesundheitlich nicht gut. Im Laufe des Jahres 1935 wurde sie durch ihre Darmkrebserkrankung immer stärker gezeichnet – es war das Jahr, in dem ihr ältester Sohn, mein Großvater Josef Isenberg, das Abitur machte und nach einigen Monaten im Reichsarbeitsdienst am 1. November 1935 ein Medizinstudium an der Universität Köln aufnahm. Um seine schwerkranke Mutter zu pflegen, wohnte er aber weiterhin bei seinen Eltern in der Haskenstraße und pendelte mit dem Zug ständig zwischen Köln und Essen hin und her, während sein Vater mit dem Leiden der Ehefrau nicht so richtig umzugehen wusste und in ihren letzten Lebenswochen zu seinen Schwestern ›floh‹. Mein Großvater, der nach dem Wunsch der Familie eigentlich Priester hätte werden sollen, sah seine Neigung zur Medizin zuletzt auch durch die Erfahrungen mit der Pflege der schwerkranken Mutter bestärkt. Sein späteres Wirken als Arzt wurde durch diese familiäre Situation geprägt.

Am 17. Juli 1936, vormittags um 10 Uhr schloss Katharina schließlich für immer die Augen – in der Traueranzeige heißt es: »Sie starb sanft und gottergeben«; drei Tage später wurde sie auf dem Helenen-Friedhof in Essen-West beigesetzt. Katharina Isenberg, geborene Gawenda, wurde nur 52 Jahre alt und hinterließ ihren Mann und die fünf Kinder im Alter zwischen 14 und 24 Jahren. Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs mit der totalen Zerstörung Altendorfs mitsamt der Wohnung der Familie und der Arbeitsstätte des Ehemanns musste sie nicht mehr miterleben.

Katharina Isenberg blieb in unserer Familie als äußerst liebevolle und fürsorgliche Mutter in Erinnerung. Mein Großvater Josef Isenberg, der Ende der 1920er Jahre seine lyrische Ader entdeckt hatte, verfasste am Todestag seiner Mutter dieses Gedicht:

Totenklage.

Wer streichelt mir die bleiche Wange
wie einst dem kleinen wilden Rangen.
Wer hilft mir nun in meinen schweren Stunden,
wer kühlet mir die heißen Wunden,
wenn ich einst kehr aus schwerem Kampf
von Blut durchtränkt, geschwärzt von Pulverdampf.
Wer drückt mir nur die Augen zu,
wenn über mich die letzte Ruh,
sich schweigend senkt, so todesschwer
und um mich alles einsam ist und leer! –
Allein bin ich, verlassen schon von aller Welt,
mein Ruf in dunkle Todesschatten gellt.

Und Hilfe suchend tastet meine weiße Hand
entlang an rauher, kalter Zimmerwand.
Ach, Mutter, reich mir deine zarte Hand
noch einmal her, und laß der Liebe großes Schlagen
mich stärken noch im letzten Todeszagen!


Ahnenlinie:

Thomas Gawenda (15.12.1849 – 20.01.1924) ⚭ Marianne Skornia (02.12.1850 – 30.10.1923)

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Katharina Gawenda (27.11.1884 – 17.07.1936) ⚭ Josef Isenberg (15.06.1882 – 24.01.1968)

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Dr. Josef Isenberg (30.12.1911 – 14.05.2007) ⚭ Anita Limper (25.07.1913 – 07.10.1983)

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Dr. Erwin Isenberg

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Dr. Gabriel Isenberg


» Ich freue mich jederzeit über ergänzende Informationen und Materialien. Schreiben Sie mich gerne an!